Ein mächtiges experimentelles Instrument zur Strukturaufklärung sind
Beugungsversuche mit Röntgen- und Neutronenstrahlen. Die
Beugungsbilder lassen sich im Rahmen der 1. Bornschen Näherung als
das Betragsquadrat der Fouriertransformierten eines Streupotentials -
oder auch als Foriertransformierte der entsprechenden
Autokorrelationsfunktion - auffassen. Die Angabe von Kernpositionen
und Streupotential für Röntgen- oder Neutronenstreuung hängen sehr
eng miteinander zusammen, vor allem bei Streuung langsamer Neutronen,
bei der jeder Atomkern in guter Näherung einen punktförmigen Streuer
darstellt.
Amorphe Stoffe, beispielsweise Flüssigkeiten oder
Gläser, zeigen kontinuierliche Beugungsbilder ohne scharfe
Reflexe. Dies läßt sich dergestalt deuten, daß die Strukturen keine
langreichweitige Ordnung aufweisen.
Bei Kristallen dagegen
sind scharfe Reflexe, sogenannte Braggreflexe, zu sehen, die auf
einem Gitter angeordnet sind: man kann ihre Positionen also als ganzzahlige
Linearkombinationen von drei Basisvektoren beschreiben, und jeder
Reflex ist auf diese Weise durch drei ganze Zahlen indiziert. Dies
führt unmittelbar auf ein periodisches Potential, das wir durch
eine periodischen Anordnung von Kernpositionen deuten. Die periodische
Wiederholung findet ihren Ausdruck in einem Kristallgitter, das
die Elemente der Translationsgruppe wiedergibt, und einer
Elementarzelle, die bei Anwendung dieser Symmetriegruppe den gesamten
Raum füllt. Haben wir eine Potentialfunktion oder eine Kernanordnung
auf der Elementarzelle gewählt, so entstehen das Potential und die
Kernpostitionen für die gesamte, unendlich ausgedehnte Struktur durch
Anwendung der Translationsgruppe. Unkorrelierte Leerstellen führen
zur Verminderung der Reflexintensität und zu einem homogenen
Hintergrund. Eine unkorrelierte Verrückung von Atomen kann
zusätzlich die Reflexe verbreitern.
Bei Quasikristallen weist das
Beugungsbild ebenfalls Braggreflexe auf, die allerdings nicht
auf einem Gitter liegen. Dies erkennt man häufig direkt an der
nichtkristallographischen Symmetrie: es tauchen Drehachsen der
Zähligkeiten 5, 8, 10, 12 oder auch die volle Ikosaedergruppe auf.
Man kann die Reflexe ebenfalls durch ganze Zahlen indizieren, nur
genügen drei Zahlen hier nicht: bei den ikosaedrischen Phasen ist
eine Basis aus sechs Vektoren nötig. Diese spannen mit ganzzahligen
Koeffizienten einen -Modul auf, auf dem nach wie vor jeder Punkt
eindeutig durch seine sechs Indizes bezeichnet ist. Die Modulpunkte
liegen dicht, und die Beugungsbilder zeigen tatsächlich bis an die
Grenze des Meßbaren eng beieinanderliegende Braggreflexe. Allerdings
liegen jeweils die Reflexe, die eine vorgegebene Intensität
übersteigen, diskret.
Die Frage ist nun: wie sehen Strukturen aus, die derartige
Beugungsbilder zeigen? Es sei gleich angemerkt, daß für die hier
betrachteten i-Phasen zwei mögliche Strukturvorschläge ausscheiden:
Gläser und Verzwillingung von Kristalliten. Beide Modelle können die
beobachteten scharfen Reflexe nicht erklären. Man bemüht vielmehr
quasiperiodische diskrete Strukturen, die in den folgenden
Abschnitten erläutert werden.
Abbildung: Ein kleiner Ausschnitt aus dem Tübinger Dreiecksmuster